
Kein Sex mit Schülern
Warum eigentlich?
Auch in der spirituellen Lehrer-Schüler-Beziehung sollte Sex tabu sein, ebenso wie in der Beziehung zwischen Lehrern und ihren jugendlichen Schülern an unseren normalen Schulen. Die Psychologin und Satsanglehrerin Padma Wolff begründet, warum das so ist und warum auch die vermeintlichen Ausnahmen von dieser Regel normalerweise nur gut getarnte Fallen sind
Das Thema ist uralt und taucht doch immer wieder auf. Es scheint dabei für einige sehr neu oder zumindest gänzlich unbekannt und kaum verständlich zu sein. So kam kürzlich in einer Podiumsdiskussion auf dem »Rainbow-Spirit-Festival« diesen Jahres zum Thema »spirituelle Arroganz« als Unterpunkt die Sprache auch auf sexuellen Missbrauch in der Lehrer-Schüler-Beziehung. Der Begriff klingt erstmal drastisch und scheint für manch einem gar nicht passend, geht es doch in aller Regel um Beziehungen zwischen erwachsenen Menschen. Mir selber wurde die Angemessenheit dieser drastischen Formulierung erst in einem Seminar über die psychodynamischen Hintergründe von Missbrauch in der Therapie klar. Da sich hier sinnvolle Parallelen zur spirituellen Lehrer-Schüler-Beziehung auftun, will ich dies näher ausführen. Denn ich vermute, dass diese Zusammenhänge vielen, die spirituell unterwegs sind, gar nicht klar sind. Meist tritt diese Dynamik zwischen männlichen Lehrern und weiblichen Schülerinnen auf. Daher werde ich hier in meinem Text in der Regel diese Form nennen. Mitgemeint sind aber auch all die – immer noch selteneren, aber vorhandenen – Fälle, in denen weibliche Lehrerinnen männliche Schüler missbrauchen, oder wo dies in gleichgeschlechtlichen Lehrer-Schüler- Beziehungen geschieht.
Asymmetrie und Regression
Die spirituelle Lehrer-Schüler Beziehung ist zunächst einmal asymmetrisch, wie Christian Meyer auf dem genannten Podium es nannte. Das natürlich umso mehr, je mehr der Meister auf einem Thron oder einer Bühne sitzt und die Schülerinnen bewundernd davor knien und ihn bedienen und hofieren. Hinzu kommen jedoch noch die bedeutenden Phänomene der Regression und der Übertragung. Dies sind erstaunliche psychische Mechanismen. Sie ermöglichen es uns, in frühere Entwicklungsstadien und Bewusstseinsebenen zurückzukehren (lat. regressio: Rückkehr, Wiederholung), sowie unsere Erlebens- und Verhaltensweisen gegenüber früheren Bezugspersonen in aktuellen Begegnungen auf das jetzige Gegenüber zu übertragen. Dies kann solch ein Ausmaß annehmen, dass wir unseren aktuellen Beziehungspartner und unsere eigenen erwachsenen Kapazitäten gar nicht mehr klar wahrnehmen. Wir sehen in ihm dann oft unbemerkt eine der Personen, die uns aufgezogen haben (meist Vater oder Mutter) und fühlen uns wieder genauso, wie als Kind dieser Person gegenüber mit allen Aspekten der dazugehörigen Beziehungsdynamik.
In Phasen, in denen Regression und Übertragung wirken, erlebt und verhält sich also sogar ein erwachsener Mensch manchmal wieder wie ein kleines Kind, vertraut sich wie ein Schutzbefohlener einem anderen an oder liefert sich diesem aus. Das kann der »Meister« noch so sehr anders sehen oder manchmal auch einfach mangels psychologischer Bildung und Einfühlungsvermögen nicht wissen. Im Erleben und Verhalten der Schüler/innen jedoch ist es nunmal so. Mehr oder weniger bewusst wirken diese Muster für uns alle und haben auch eine nützliche Funktion: Damit wir überhaupt wirklich in Hingabe empfangen können, nehmen wir natürlicherweise eine kindliche Haltung ein und liefern uns so in gewisser Hinsicht dem Lehrer aus. Wir vertrauen uns ihm in aller Offenheit und Verletzlichkeit an und lassen unsere gewohnte Abwehr, die Schutzhaltungen und das Misstrauen beseite.
Sich öffnen und vertrauen
Es geht hier keinesfalls darum, die »Opfer« zu entmündigen. Nützlich ist eher, aufzuklären darüber, dass häufig und durchaus gesunderweise bei Öffnung und Hingabe an einen Lehrer ähnlich wie in der Psychotherapie regressive Phasen auftreten. Es ist zu erwarten, dass im Zuge der Entwicklung auf die nächste Bewusstseinsebene auch frühere Stadien wieder erlebt werden. Dies kann sogar erforderlich sein, um auf ihnen aufzubauen. Wenn wir diese regressiven Phasen ohne unsere bisherigen Orientierungs- und Kontrollmechanismen neu erfahren, öffnen sie sich damit gleichsam wieder für eine heilsame Weiterentwicklung. Damit werden wir aber zunächst mal einfach leicht desorientiert und unkontrolliert. Wir sind anfälliger für Beeinflussung – vor allem durch unseren Lehrer. Auf ihn verlassen wir uns in dieser Phase des Einlassens auf das Unbekannte besonders. Von ihm erwarten wir Anleitung darin. Er hat uns ja schließlich auch dazu angeregt, unser altes Wissen, wo's langgeht, wer wir sind, was wir wollen, überhaupt erst loszulassen und nun so nackt dazustehen und diese scheinbare Hilflosigkeit zu riskieren.
So liegt darin auch eine gewisse Verwundbarkeit und damit eine Verantwortlichkeit für denjenigen, der diesen Prozess angeregt hat und zu dem die Person als ihrem Lehrer aufschaut. Ob der sich dabei »Lehrer« nennt oder der Schüler sich als »Schüler« bezeichnet, ist egal. Es geht um die innerpsychische und in der Regel unbewusste Beziehungs-Dynamik die in solchen Konstellationen zu erwarten ist. Immerhin wird allgemein durch die verschiedensten Richtungen und Traditionen hindurch hier von »Lehrer-Schüler-Beziehung« gesprochen, so sehr ähnelt diese Beziehung den Beziehungsmustern, die wir aus der Schule unserer Kindheit kennen. Es macht ja auch Sinn, dass wir uns zum Lernen und Neuwerden wieder in die kindliche Haltung einer Offenheit für Prägungen begeben. Mit dieser geht aber eben auch ein gewisses Schutzbedürfnis einher. In der weiteren Entwicklung geht es dann darum, dass der Schüler erwachsen und eigenverantwortlich wird, dass er aus einer abhängigen und bedingten in eine wirklich reine Hingabe findet, aber solange dies noch in Entwicklung ist, solange er noch Schüler zu sein scheint und der Lehrer noch lehrende Funktion hat, gibt es da eine Art Obhut oder Fürsorglichkeit, die vom Lehrer erwartet wird – zu recht erwartet wird, meine ich.
Hier kann nun die Falle der spirituellen Arroganz zuschnappen, die suggeriert: »Für mich gilt das nicht mehr. Ich steh ja darüber, ich bin ja frei, auch von den herkömmlichen Regeln. Ich hab ja erkannt, dass es mich gar nicht gibt, also gibt es auch niemanden der missbraucht und keinen Missbrauch…«
Verliebtheit – in die Person?
Sehr häufig entsteht eine Art von Verliebtheit zwischen Schüler/Schülerin und Lehrer/Lehrerin. Dies ist natürlich und gut so. Es ist sogar förderlich für die Hingabe an die spirituelle Entwicklung, denn der Lehrer reflektiert der Schülerin die Liebe an sich, das Göttliche, das Selbst, nach dem sich die Schülerin sehnt. Das ist Teil der Funktion des Lehrers. Diese Verliebtheit gilt aber dem, worauf der Lehrer hinweist: der Liebe an sich, die sich in der Begegnung mit dem Lehrer offenbart. Sie zeigt sich, wenn die Schülerin alle Abwehr zur Ruhe kommen lässt und ihr Herz ihrem natürlichen Zustand öffnet. Diese Liebe ist hinreißend – für beide Seiten! Für die spirituelle Entwicklung der Schülerin hat sie die Funktion, ihre Aufmerksamkeit und Sehnsucht daran zu binden.
Hierin stimme ich der in der vorigen Ausgabe der Connection Spirit im Artikel über »Gurus und Ethik am Beispiel des Skandalgurus Madhukar« zitierten Psychologin zu, wenn sie sagt: »Diese Verliebtheit auf die Person des Lehrers zu beziehen, oder wenn er sie gar für sich und seine Bedürfnisse oder Triebbefriedigung benutzt, ist eine Zweckentfremdung«. In dieser unrechtmäßigen Aneignung der absoluten Liebe für die egozentrische Bedürfnisbefriedigung des Lehrers verfehlt seine wahre Lehre ihr Ziel. Denn wie auch im bereits erwähnten Artikel erklärt, bleiben Schülerinnen dabei »in einer unerfüllten Sehnsuchts-Beziehung an der Person des Lehrers hängen« und werden »abhängig von seiner Zuwendung, anstatt sich selbst als Quelle der Liebe und Erfüllung zu erkennen.« Die ebenfalls dort beschriebene Tatsache, dass Schülerinnen »die Liebe zum Göttlichen leicht mit persönlicher Verliebtheit verwechseln und dabei oft sogar alle Tricks des Ego und Verführungskünste benutzen, um die Liebe des Lehrers zu gewinnen und sogar die merkwürdigsten bis unannehmlichsten Dinge dafür auf sich nehmen«, kann man ihnen nicht übel nehmen. Es ist nur zu verständlich, dass sie das Ganze aus der Perspektive des Egos missverstehen und entsprechend handeln. Dies geschieht in aller Regel völlig unschuldig und unbewusst. Der Lehrer aber sollte darum wissen und die Schülerin auf die Liebe zum Göttlichen und zu ihrem Selbst zurückverweisen, anstatt sich persönlich daran zu bereichern.
Die Chance für den Lehrer
Ganz nebenbei nimmt sich auch der Lehrer damit die Chance wirklicher Intimität und Vertraulichkeit in einer gleichberechtigten Beziehung. Hierin verpasst er die besten Gelegenheiten für ehrliche Rückmeldungen im alltäglichen Leben. Damit wiederum fehlt ihm ein wesentliches Korrektiv für spirituelle Arroganz. Denn wer könnte uns besser auf blinde Flecken hinweisen und von scheinheiligen Überheblichkeiten herunterholen als diejenigen, die unsere täglichen Macken ungeschminkt miterleben. Dafür müssen Partner aber auch gleichberechtigt und sicher genug gebunden sein, um es zu wagen, uns in aller Ehrlichkeit zu konfrontieren.
Das kann durchaus auch noch für Menschen, die bereits in weiten Teilen ihres Bewusstseins erwacht sind, sehr nützlich sein für die weitere Erleuchtung aller Bewusstseinsbereiche. Deshalb wird in einigen Traditionen den fortgeschrittensten Meistern eine verbindliche Beziehung mit einer starken Partnerin sogar nahe gelegt.
Ken Wilbers »integrales Modell der Bewusstseinsentwicklung« macht – wie in der Podiumsdiskussion von Katharina Ceming erwähnt – folgendes Phänomen sehr gut nachvollziehbar: Eine Person kann in einigen spirituellen Entwicklungslinien sehr erleuchtet sein und zugleich in anderen (z.B. ethisch-moralischen, selbst-reflexiven, sexuellen, emotionalen und anderen beziehungsrelevanten) Bereichen noch auf viel früheren Entwicklungsstufen stehen. Das wissen die meisten Schüler nicht und gehen daher recht blind davon aus, dass ihr Lehrer in allem und jedem gleichermaßen erleuchtet, hoch entwickelt und weise wäre. So trauen sie seinem Urteil und Verhalten eher als ihrem eigenen Empfinden, und das auch in Bereichen, in denen sich der Lehrer vielleicht schlecht auskennt oder noch sehr unbewusste Anteile und Antriebe haben mag.
Passt auf Mädels!
In diesem Modell wird auch deutlich, wieso sogar ansonsten sehr bewusste und selbstbewusste Frauen auf Verlockungen niederer Bewusstseinsstufen hereinfallen können. Oft passiert dies sogar zu ihrem eigenen Erstaunen, vielleicht sogar Unverständnis und gegen ihren eigentlichen bewussten Willen. Denn die evolutionär früheren Strukturen in Gehirn und Nervensystem bleiben in uns erhalten und ansprechbar. Gerade im emotionalen und sexuellen Bereich springen Strukturen aus frühen Entwicklungsstufen sehr schnell und leicht auf unbewusste Reize an. So können sich auch sonst sehr hoch entwickelte, aufgeklärte Frauen hormonell und genetisch gesteuert in archaischer Weise von einem Alpha-Männchen angezogen fühlen, dem sich im Bereich seiner Macht alle paarungswilligen Weibchen unterwerfen.
Denn auf der animalischen Triebebene wirkt es erstaunlicherweise sogar umso anziehender, je mehr Weibchen und Macht ein Alpha-Männchen besitzt. Dieselben Frauen mögen auf höher entwickelten Ebenen ihres Bewusstseins und ihrer emotionalen Beziehungswünsche und -fähigkeiten vielleicht fassungslos bis angewidert den Kopf über das Verhalten des Gurus und ihre eigenen Triebimpulse schütteln.
Die gute Nachricht an diese Frauen lautet: »Passt auf Mädels! Ihr müsst den Trieben nicht blind folgen, egal wie stark die Impulse auch toben – und schon gar nicht, wenn es die von eurem Meister sind!« Es geht hier schließlich nicht um Gehorsam oder Unterwerfung unter Triebimpulse, sondern um Hingabe an die Liebe, die enorm differenzierungsfähig und standhaft sein kann. Liebe ist intelligent. Sich der Liebe hinzugeben, heißt nicht, dumm zu werden. – Bei den Trieben hingegen kommt das durchaus vor.
Anders betrachtet können wir hier auch sehen, wie eine gewisse Art und Funktion von Massentrance mit hineinwirkt: Gerade weil dieses Alpha Männchen von so vielen angehimmelt wird, fühlt sich die jeweils gerade »auserwählte« Frau geschmeichelt und aufgewertet. Das trägt erheblich zu ihrer »Paarungswilligkeit« und dem ekstatischen Rauschzustand bei, wenn sie sich ihm hingibt. In gewissem Sinne wird hier sogar eine sehr intensive Hingabe erlebt – allerdings an animalische Triebimpulse. Wenn Tantra auch unseren Alltag erreichen und transformieren soll, dann brauchen nicht nur Shiva und Shakti, sondern auch Hanna und Peter heilsame Aufmerksamkeit.
Die männliche Idee von Sexualität
Wie leicht dies alles mit Liebe verwechselt wird und doch wirkliche Intimität gerade vermeidet, erklärt das Ehepaar Trobe in ihrem Buch »Wenn Sex intim wird«. Der dort beschriebene »Ebene 1 Sex« ist genau durch diese heißen, unbewussten und meist sogar unverbindlichen Triebimpulse gekennzeichnet. Ironischerweise wird dieser gerade in spirituellen Kreisen oft zu Freiheit oder gar Liebe verklärt und mit höher entwickelten Ebenen des Bewusstseins und der Beziehungsfähigkeit durcheinandergebracht.
Unschwer kann man – zumindest frau – auch darin eine gewisse Form der Arroganz entdecken: Oft wird ganz selbstverständlich die männliche Idee von Sexualität als die erleuchtete, freie Form hingestellt. Die weibliche, eher emotional-einfühlsame und anhängliche Idee steht dagegen von vornherein als sentimental-bedürftig im Verdacht. Sie stört die männliche Erleuchtung und Freiheit nur. Hier besteht die Gefahr, dass einfach der animalische Trieb genommen, für spirituell erklärt und die übliche Dominanz männlicher Sichtweisen fortgesetzt wird. Sexualforscher bestätigen, dass der männliche Sexualtrieb darauf ausgerichtet ist, den Samen möglichst breit zu streuen. Der daraus resultierende emotionale, verantwortlich-fürsorgende Rest wird in der klassischen Rollenverteilung eher den Frauen überlassen. Sollte es nun gerade in der spirituellen Entwicklung nicht auch andere Möglichkeiten geben, als an den herkömmlichen – meist nach männlichen Vorstellungen geprägten – Strukturen festzuhalten? Könnte eine höher entwickelte, non-duale Sexualität vielleicht beide Seiten transzendieren, bzw. integrieren – eher als einfach eine davon unverändert zum Idealzustand zu erklären?
Die »Psychopathen des Enneagramms«
Ein ähnliches Schema gibt es auch in Bezug auf ein ganzes Bündel von Charaktermerkmalen, die einfach als solche genommen und unverändert für erleuchtet und frei (v)erklärt werden: Wie sich besonders »Achter-Männer« als Alpha-Tiere anbieten und quasi automatisch die Boss-Position an der Spitze der Herde einnehmen, weiß jeder, der schon mal ein Enneagramm-Seminar besucht hat. (In diesem System werden psychologisch-spirituell genau ausdifferenziert neun Charakterstrukturen beschrieben und in Kurzform von eins bis neun als Fixierungen nummeriert. Jede Fixierung wird wiederum durch einen von je drei möglichen »Subtypen« modifiziert, wobei diese Subtypen von den animalischen Trieben, die jedem menschlichen Körper innewohnen, geprägt werden. Das sind Selbsterhaltung, sexueller und sozialer Trieb.)
Gerade die Acht ist entsprechend dieser Beschreibung dafür prädestiniert, zum »großen Guru« zu werden. Besonders der sexuelle Subtyp der acht zieht charismatisch die Massen an. Tatsächlich finden wir überzufällig häufig sexuelle Achter-Männer in der Position bekannter Lehrer, die große Mengen von Menschen erreichen und beeindrucken.
Leider sind nun auch gerade eben diese Achter in ihren unerleuchteten Seelen-Anteilen die »Psychopathen des Enneagramms«, d.h. diejenigen mit einem deutlichen Mangel an Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Rücksicht auf andere. Sie haben keine Hemmungen, ihre Wut, Macht und Wollust eigennützig auszuagieren. Sie leiden meist nicht selber darunter. Nur die Anderen um sie herum leiden. So kann sich das Ego nur zu leicht als total erleuchtet und leidfrei verklären. Wenn diese Menschen dann eine große Anhängerschar um sich versammeln, die sie als erleuchtete Meister verehrt, bildet das einen fruchtbaren Boden, auf dem gerade diese Ego-Struktur nur umso besser gedeiht. Zugleich bleibt dieses Muster gerade in den spirituellen Subkulturen, die Leid- und Egolosigkeit anstreben, extrem gut getarnt. Denn es sieht für Uneingeweihte in diese Verhaltensmuster so aus, als ob es über jegliche Ego-Gebundenheit erhaben wäre und wirklich frei.
Keinen Sex mit Schülern!
Annette Kaiser sagte auf der Podiumsdiskussion sinngemäß, dass wir uns eher als an von außen vorgeschriebenen ethischen Richtlinien oder Regeln lieber an einem Gefühl innerer Stimmigkeit ausrichten können. Diese innere Stimmigkeit kann jeder in sich selber spüren. Wir wissen darin einfach innerlich, ob das, was wir tun, im Einklang mit dem Leben ist, oder ob wir uns selbstsüchtig in egozentrische Eigenbewegung begeben. Und doch kam auch die Podiumsrunde – mit Ausnahme eines Teilnehmers – zu dem Schluss, dass es in Bezug auf dieses Thema, eine Regel gibt, an die sich zu halten sinnvoll ist: »Keinen Sex mit Schülern!« Nach wie vor scheint mir diese eigenste innerste Stimmigkeit in Freiheit und Selbstverantwortung der einzig wirklich gangbare Weg, denn wer sollte hier auch Regeln im Sinne von Gesetzen aufstellen oder gar kontrollieren? Umso wichtiger ist mir gerade in diesem Bereich eine möglichst weitreichende Aufklärung sowohl von Lehrern als auch Schülern.
Insofern betrachten wir es als Regel im Sinne von: Ja, Sex mit Schülern ist tabu, und wir sollten es wachsam, selbst- und fremdkritisch überprüfen, wenn uns etwas eine berechtigte Ausnahme von dieser Regel zu sein scheint. Zumal das Ausnahme-sein hier zum Programm der Falle und Versuchung gehört! Denn gerade der sexuelle Trieb bringt schon an sich jede Menge Täuschungsmanöver, Verbrämungen und romantische Geschichten zur Tarnung und Überzeugung mit sich, die meist gleichzeitig unbewusst von den genetischen und hormonellen Antrieben ausgelöst werden, die ihn mit enormer Kraft und Sogwirkung unwillkürlich durchsetzen.
Die Versuchung
Ich habe es einige Male hautnah miterlebt und kann wirklich aus eigener Erfahrung sagen: Die Lehrer – und zwar auch einige ansonsten sehr klare, erwachte und liebevolle Lehrer! – bei denen ich dies beobachten konnte, wollten keineswegs Schaden anrichten. Sie waren sich der leidvollen Auswirkungen ihrer Handlungen oft gar nicht bewusst. Und ich habe sogar Lehrer darauf hereinfallen sehen, die sich dieser Fallen und Dynamiken sehr bewusst waren, sogar selber darüber gesprochen und gelehrt hatten!
Ich habe als Lehrerin selbst erlebt, wie stark die Anziehung zu Schülern sein kann, was für ein Sog darin liegen kann, wie sehr es so erscheinen kann wie: »Dies ist jetzt aber doch was anderes. Dies ist jetzt wirklich die große Liebe«, selbst wenn ich es eigentlich schon besser wusste, und sogar darum wusste, dass genau diese Verklärung Teil des geschickt verpackten Pakets der Versuchung ist – und wie stark das Verlangen werden kann, dem doch endlich nachzugeben. Und ich war sooo froh, als ich es – mit Unterstützung in Supervision, die ich in solchen Fällen jedem dringend anraten würde – geschafft hatte, dem zu widerstehen. Denn prompt stellte sich heraus, als ich nur lang genug still gehalten hatte, dass der Betreffende als Kind neben einer emotional übergriffigen und vereinnahmenden Mutter tatsächlich eine Vergewaltigung erlebt hatte. Natürlich hat sich das prägend auf die Dynamik unserer Beziehung übertragen! Und natürlich hätte es sich verwickelnd und eher retraumatisierend als heilsam ausgewirkt, wenn in unsere Lehrer-Schüler-Beziehung irgendetwas sexuell oder emotional Übergriffiges von meiner Seite hereingekommen wäre.
Aufklärung
Ich hoffe, dass dieses Beispiel deutlich macht, wie bedeutsam es an diesem Punkt ist, dass der Lehrer soweit wie nur irgend möglich einen leeren und reinen Bewusstseinsraum bietet und darein nicht mit eigenen Wünschen, Absichten oder Bedürfnissen eingreift: Der Lehrer sollte in dieser Beziehung nichts für sich wollen oder brauchen! Tut er es doch, sollte er sich schnellstmöglich und zwar bitte außerhalb der Lehrer-Schüler-Beziehung mit dem versorgen, was da gebraucht wird (z.B. in einer eigenen gleichberechtigten Beziehung), oder sich zur Unterstützung und Klärung an eine gute Supervision wenden. Ich kann sogar sagen, dass es mir selbst nach diesem so deutlichen, eigenen Erlebnis trotzdem nochmal vorgekommen ist, dass diese Versuchung mit enormer Überzeugungs- und Sogkraft wieder auftauchte. Es schien sogar noch mehrmals wieder so als wäre es »diesmal einzigartig«. Jedes Mal war ich schließlich wieder heilfroh darum, lieber stillgehalten zu haben. Denn bald offenbarte sich wieder, dass auch dieser Mann in all seiner Offenheit und Liebe doch auch noch unbewusste Regressionswünsche und Mutter-Übertragungen auf mich projiziert hatte. Die wären missbraucht worden, wenn ich danach gegriffen hätte, als ob sie mir gälten. Tragischerweise treten zudem oft gerade diejenigen, die schon als Kinder missbraucht wurden, besonders verführerisch auf und bieten sich mehr oder weniger unbewusst geradezu an. Darin können wir das Wirken des »Wiederholungszwangs« beobachten, den schon Freud beschrieb.
Meine Funktion als Lehrerin besteht darin, den nicht-reaktiven Bewusstseinsraum zur Verfügung zu stellen, in dem der Schüler eine heilsame korrigierende Erfahrung machen kann. Darin können sich das alte Muster und die unbewusste Identität damit lösen – sie können es nicht, wenn ich es weiter fortsetze, indem ich mit einsteige und meine oder seine (vermeintlichen) Wünsche bediene! Es geht es hier also um Aufklärung – wie »enlightenment« auch übersetzt werden kann. Es geht um immer weitere Bewusstwerdung und darum, auch die Schatten ans Licht zu holen. Das passt sehr gut zu der ausdrücklichen Empfehlung meines Lehrers Papaji, »wachsam zu sein bis zum letzten Atemzug«.
Die erwähnte Podiumsdiskussion findet ihr als Film hier: http://www.jetzt-tv.net/index.php?id=368#c13978. Der erwähnte Bericht darüber von Wolf Schneider in Connection Spirit 7-8/12: http://archiv.connection.de/index.php/magazintexte/16-spirit/1603-gurus-und-ethik. Martin Erdmann, der 26 Jahre lang Dozent an der Uni Heidelberg war und seit einigen Jahren privat Satsang gibt, hat in seinem neuen Buch »Erleuchtung statt Verdummung« über diese Diskussion geschrieben; unter der Überschrift »Skandalguru Madhukar: der märchenhaft Geliebte« widmet er ihr mehr als vierzig Seiten, mit einer genauen Analyse der einzelnen Diskussionsbeiträge. Die Podiumsdiskussion wurde auch in mehreren Foren im Web diskutiert. Literaturempfehlungen von Padma Wolff zum Thema der reifen bzw. unreifen sexuellen Beziehungen: Krishnananda und Amana Trobe, Wenn Sex intim wird, Innenwelt Verlag 2008; Ken Wilber, Integrale Vision, Kösel Verlag 2009; Eli Jaxon-Bear, Das spirituelle Enneagram, Goldmann 2003; Padma Wolff, Entwicklung aus den AnTrieben des Leidens – die Subtypen im Enneagramm (erscheint demnächst).
Padma Wolff, Dipl. Psych. Seit 1995 Erforschung von Satsang und transpersonaler Psychologie. 2003-2006 Therapeutin und Ausbilderin der Leela School von Eli Jaxon-Bear. Leitung von Enneagramm-Seminaren. Seit 2010 Leitung des Ausbildungsinstitutes »Bodhisattva Schule« für integrale Tiefenspiritualität, www.sevaa.de, www.bodhisat.de