Herausfinden, was nicht stirbt

erschienen in der Zeitschrift „Connection“ im Oktober 2007 (hier veröffentlicht mit freundlichen Genehmigung des Herausgebers Wolf Schneider- hier geht es zur Website der Connection)


Stefan Stutz sprach mit den Hamburger Satsanglehrern Torsten Brügge und Padma Wolff

Es ist selten, dass spirituelle Lehrer als Paar auftreten und das dabei auch noch jeder für sich auf ganz eigene Weise erfolgreich lehrt. Bei Torsten und Padma ist das der Fall. Sie haben bei Gangaji und Eli Jaxon Bear gelernt, verstehen sich in der Tradition von Ramana Maharshi und Papaji und treten seit einigen Jahren selbst als Lehrer auf.

Anfangs musste ich bei dem Begriff ‚Selbsterforschung’ stets etwas schmunzeln.
Was war das denn nun wieder für ein esotierischer Klimbim? Ich stellte mir die üblichen Workshop-Junkies vor, wie sie Räucherstäbchen-umwölkt im Meditations-Kreis saßen und sich gegenseitig mit Sherlock-Holmes-Lupen abschnüffelten. Dazu die Speisekarte des Indischen Restaurants MacMantra rauf und runter singend. Obwohl, wenn ich morgens im Halbschlaf vor dem Badezimmer-Spiegel stehe, dann hat das auch was von Selbsterforschung an sich: »Ich kenne dich nicht, aber die Zähne putze ich dir trotzdem.«
Und dann auch noch diese Frage: »Wer bin ich?« Jetzt reicht’s wirklich! Steht ja wohl in meinem Personalausweis wer ich bin, oder?Doch für all meine praxiserprobten Projektionen und Vorurteile war es bereits zu spät. Diese und weitere Selbsterforschungs-Fragen hatten bereits wie listige Computer-Viren an meiner Ich-Sicherheits-Suite genagt. Terror in Form von Frieden und Freiheit schimmerte bedrohlich durch. Doch genau genommen waren es keine Trojaner, Rootkits oder sonstigen Bugs, die meine Gemütliche-Trance-Festplatte mit Licht und Liebe infiltrierten, sondern Padma.sat und Torsten.sang, zwei ganz gewöhnliche Avatare von nebenan.
Das spannende an diesen beiden spirituellen Lehrern ist, dass sie auch als Paar zusammen Satsang geben. Das ist so eine Art Erwachens-Doppel-Whopper mit Stereo-Effekt und voller Ausbalancierung von Shiva und Shakti. Nur im Nacken zerrt’s manchmal etwas, wenn man ihren dialogischen Koan-Matchbällen wie ein Tennis-Zuschauer gespannt hin- und her folgt. Zur Krönung mussten nun ausgerechnet Padma und Torsten eine ‚Praxis für Meditation und Selbsterforschung’ eröffnen. Kennt ihr denn keine Gnade? Könnt ihr mir denn nicht wenigstens ein kleines bisschen Identifikations-Disneyland zum kuscheligen Anhaften lassen? Höchste Zeit also, Euch mal mit ein paar Fragen zu ärgern…

Das einzige, was von Geburt an festzustehen scheint, ist, dass man stirbt. Ist das nicht traurig? Das schöne Lied des Individuums, die ganze Geschichte, was immer ein Mensch erlebt, aufbaut, schafft – es zerrinnt wie Staub im Wind der Zeit. Sogar die größten Kunstwerke, die meisterhaftesten Schriften, die wetterfestesten Bauwerke, die stabilsten Datenspeicher, was auch immer – alles vergeht. Selbst dieser Planet. Selbst dieses Universum. Was bleibt dann? Worum geht’s dann wirklich?
Schon Buddha ließ seine Schüler nachts auf Friedhöfen und zwischen Totengebeinen meditieren, um eben dieser Frage nach zu gehen. Heutzutage scheint es so eine Art Evolutionssprung des menschlichen Bewusstseins zu geben, und einer immer breiteren Masse an Menschen scheint die Erwachens-Erfahrung eines Buddha möglich.
Satsang, die so genannte Gemeinschaft (sangha) in Wahrheit (sat), ist ein Ausdruck dieser Möglichkeit, und die Satsang-Lehrer Padma und Torsten sind zwei solche‚ ganz gewöhnlichen 'Buddhas von nebenan'. Sie haben vor einiger Zeit eine Praxis für Meditation und Selbsterforschung eröffnet und stellten sich mir im connection-Interview für eine kritische Erforschung ihres Angebotes zur Verfügung.

Padma und Torsten, ihr steht seit einigen Jahren gemeinsam für Satsang zur Verfügung. Braucht man für so etwas eine gewisse Reifung oder Ausbildung, oder fühlt man sich durch ein spezielles Erwachens-Erlebnis dazu berufen?

Torsten: Es bedarf der unmittelbaren Erfahrung der inneren Stille, die wir alle sind. In meinem Fall erfuhr ich einen Durchbruch zu dieser Freiheit zum ersten Mal während eines buddhistischen Meditations-Retreats Anfang der Neunziger Jahre. Damit begann eine Phase in der sich diese Stille in alle Bereiche meines Lebens ausbreitete. Schließlich ermunterte mich meine Lehrerin Gangaji dazu, die Erkenntnis dieses allumfassenden Friedens mit anderen Menschen zu teilen, und ich begann für Satsang zur Verfügung zu stehen.

Padma: Für mich fand dieses erste Erlebnis während einer katholischen Messe statt. Aber dann war es auch in meinem Fall Satsang, vor allem durch Poonjaji und seine Schüler Isaac Shapiro, Eli und Gangaji, wo ich klären und vertiefen konnte, was ich da erfahren und eigentlich mein ganzes Leben lang schon gesucht hatte. Eli und Gangaji waren es dann auch, bei denen ich so etwas wie eine Art Qualifizierung und Bestätigung dafür erfuhr, meine Einsichten und Unterstützung für andere mit ähnlichem Interesse zur Verfügung zu stellen.
Aber allgemein würde ich sagen: Für Stille gibt es keine Zertifikate oder Zulassungsbeschränkungen. Kein Institut und keine Behörde kann sie für sich beanspruchen oder lizenzieren. Zusammensein in Stille kann überall und jederzeit mit jedem Wesen stattfinden.

Was geschieht während eurer Satsangs? Gibt es da einen typischen Ablauf?

Padma: Meist sitzen wir zusammen für eine Zeit in Stille. Dann gibt es Raum für Fragen und Gespräche. Das Wesentliche ist die Stille an sich. Allein dadurch, dass wir zu diesem Zweck zusammenkommen, wird das Bewusstsein darin unterstützt, sich als diese endlose Weite der Stille wahrzunehmen, sich zu sich selbst zu öffnen und zu entspannen. Dann erübrigt sich oft schon alles Weitere. Häufig finden es die Teilnehmer dann schon schwer, ihre Fragen und Probleme überhaupt zu rekonstruieren. Ansonsten kann es auch sehr nützlich sein, diese Konstruktionen bewusst zu untersuchen und zu durchschauen.

Offensichtlich gehen die meisten Leute ja deutlich verändert vom Satsang nach Hause. Ist dieser Effekt ein physikalischer oder psychologischer? Kann man das irgendwie messen oder erklären?

Torsten: Im Kern geht es um die Dimension des stillen, grenzenlosen Gewahrseins. Dies stellt den reglosen Hintergrund aller Erfahrungen dar und bildet sogar die Quelle und den Urgrund der materiellen Erscheinungswelt. Deshalb ist diese Stille nicht als ein Objekt greifbar und auch nicht im herkömmlichen Sinne fass- oder messbar. Andererseits sind wir selbst dieses Gewahrsein und können diese Tatsache zweifelsfrei erfahren, in dem wir uns in innere Selbsterkenntnis versenken. Dabei übersteigt diese Erkenntnis rationale Erklärungsmöglichkeiten und offenbart sich als lebendiges Mysterium.

Warum scheint es so zu sein, dass dies im Satsang eher passiert, als im Alltag?

Torsten: Viele Menschen erleben dies zunächst so, doch das ist ein falscher Eindruck. Je bewusster die Stille erfahren wird, desto mehr lösen sich alle Vorstellungen von Trennung auf. Dann wird klar: »Satsang« und »Alltag« sind nur Gedanken. Durchschauen wir den täuschenden Charakter dieser Benennungen, offenbart sich Satsang überall, und jeder Tag, jeder Moment wird als Ausdruck von Satsang erfahren.

Im Mittelpunkt Eurer Arbeit steht ja unter anderem die Hingabe an das unmittelbare Erleben jeglicher körperlichen, emotionalen oder seelischen Erfahrung. Heißt das, man kann sich auch an unerträgliche Dinge hingeben?

Torsten: Die Idee »Das ist unerträglich« ist nur ein Gedanke. Machen wir das Experiment, das vermeintlich »Unerträgliche« im Geist von Hingabe direkt zu erfahren, eröffnet sich uns inmitten des Unglücks tiefer Frieden.

Padma: Jeder von uns kennt wohl Momente in seinem Leben, wo er oder sie sich endlich in etwas hinein hingegeben hat, oder von etwas einfach eingeholt wurde, wovon er zunächst versucht hatte zu entkommen. Was darin wirklich entdeckt wird, ist Freiheit und Erleichterung! Das Leiden besteht nicht in den Dingen oder der Erfahrung an sich, sondern in dem Glauben an die Vorstellung darüber, das es etwas Schreckliches wäre, was »ich« nicht aushalten, sprich: letztendlich nicht überleben könnte. Das führt uns im Kleinen wie im Großen zu Ramana Maharshis Entdeckung und Einladung »dich« sterben zu lassen – um herauszufinden, was nicht stirbt, wer du also wirklich bist.

Wenn man nun aber extreme körperliche Schmerzen hat, z.B. durch Krieg, Unfall oder Krankheit, so sehr, dass man nicht mal mehr denken kann, wie kann man sich dem hingeben?

Torsten: Hingabe ist immer möglich. Es ist niemals die Erfahrung selbst – so schlimm sie auch erscheinen mag – welche Leiden erschafft, sondern immer unsere Beziehung zu ihr. Bleiben wir in Gedanken wie »Ich will es anders haben«, »Das sollte nicht geschehen« oder »Irgendjemand ist schuld« stecken, dann hält sich unser Leiden aufrecht. Manchmal mag Hingabe eine große Herausforderung darstellen – das sei unbestritten. Doch gerade in extremen Lebenssituationen bietet sie oft die einzige Möglichkeit, im Angesicht von katastrophalem Unglück Frieden und Liebe zu entdecken.

Was ist »Stille«? Stopft man sich einfach Watte in die Ohren, um zu entspannen?

Padma: Das wäre eher eine gute Strategie für Ignoranz oder um besser schlafen zu können. Die Stille, von der wir hier sprechen, ist offen für alles, braucht noch nicht einmal den Lärm der Welt auszuschließen. Sie ist der Hintergrund, auf dem alles erscheint, der alles durchdringt. Wenn du dich einmal in sie verliebt hast, kannst du ihre Schwingung in allem hören.

Die »Macht des Denkens« scheint mir ein Goldenes Kalb der New-Age-Szene zu sein. Was sagt ihr dazu?

Torsten: Gedanken haben tatsächlich nur scheinbar Macht, den Frieden dieses Momentes zu überschatten. In Wahrheit sind sie substanzlose Erscheinungen, die uns eine illusionäre Welt vorgaukeln. Glauben wir unserem Denken als absolute Wirklichkeit, stehen wir unter seinem Bann. Dann erleben wir das Auf- und Ab von Vergnügen und Leid. Durchschauen wir den Spuk, erfahren wir die bedingungslose Erfüllung, die Allem zugrunde liegt.

Würdet ihr sagen, dass man mit Gedanken seine Realität beeinflussen kann?

Torsten: Ich würde sagen, die »Realität«, wie wir sie gewöhnlich zu kennen glauben, ist nichts Anderes als eine Gedankenwelt, welche wir uns einbilden. Bewertungen, Deutungen und innere Bilder laufen in unserem Geist ab, und wir glauben, das wäre »unsere Wirklichkeit«. In dem Sinne erschafft unser Denken tatsächlich unsere Welt. Allerdings gehört unser persönliches Ich genauso zu dieser illusionären Welt und ist keineswegs deren Schöpfer. Das übersehen die New-Agler gerne und hoffen weiter auf ein allmächtiges Ich, das Alles nach seinen Wünschen formen kann. Diese Sichtweise hat nichts mit spiritueller Freiheit zu tun.

Was ratet ihr einem, der vom Leid in der Welt, wie es etwa durch Nachrichten aus Krisengebieten zu uns dringt, betroffen ist? Was kann man da tun?

Padma: Ich rate, sich tatsächlich völlig (be)treffen zu lassen. Darin liegt die Möglichkeit, wie vorhin schon angedeutet, sich dem scheinbar Unerträglichen zu öffnen, ihm dein Herz zu öffnen. Dann kann alles Leiden nützlich sein, denn es kann dazu beitragen, dein Herz aufbrechen zu lassen. Darin kann die Liebe erkannt werden, die das alles trägt. Aus ihr heraus wird sich natürlicherweise Liebe ausdrücken. Welche Form auch immer das Mitgefühl dann annimmt, wird dein Handeln eine grundlegend andere Qualität haben, als wenn es von einem Jemand kommt, der versucht, dem Schmerz, der Verzweiflung, der Angst zu entgehen und irgend etwas abzuwehren.

Ihr bietet Satsang auch in Indien an. Was hat euch dort hingezogen?

Torsten: Mein Lehrer Sri Ramana Maharshi rief mich. Ich wollte sehen und spüren, von wo aus die große Kraft seiner Vermittlung echten Friedens auf diesem Planeten seinen Ursprung genommen hat. Es ist seine Präsenz, die auch heute noch spürbar ist. Die Präsenz eines wahrhaft verehrungswürdigen Heiligen und der Berg, an dem er lebte, der Arunachala.

Padma: Mich hat ebenfalls Satsang dorthin gezogen. Zuerst wollte ich Papaji begegnen, dann Ramanas Berg Arunachala. Jedenfalls wollte ich auch auf der Ebene von Erscheinung von Form in Raum und Zeit so weit wie möglich zu der Quelle dessen vordringen, was ich im Satsang entdeckt hatte.

Torsten: Wir bieten Satsang am Arunachala und am Ganges an, weil wir diese Orte als zwei der kraftvollsten spirituellen Plätze auf dieser Erde wahrnehmen. Wir wollen es Menschen, die sich dort hingezogen fühlen, erleichtern, sich diesem Sog zu überlassen. Wer sich an diesen Orten auf die Erkenntnis von Stille einlässt wird schließlich entdecken, dass diese und alle anderen Plätze in der Stille auftauchen, die immer und überall das ist, was wir sind.

Macht Satsang »wunschlos hörig«?

Torsten: Ja, er macht hörig gegenüber dem inneren Frieden und der Wunschlosigkeit echter Erfüllung.

Padma: Hörig auf dein Herz, auf die Stille, die Wahrheit! Wie gesagt, die Aufforderung im Satsang ist immer ausdrücklich, für dich selber herauszufinden, was wahr ist – in deiner eigenen Erfahrung, nicht in Gedanken. In dem Sinne können wir auch sagen, dass Satsang dich darin unterstützt, auszubrechen und dich zu befreien aus der Hörigkeit deinen Glaubens- und Denkmustern gegenüber, eigentlich von jeglicher Abhängigkeit und blinden Gläubigkeit.

Habt ihr noch Wünsche oder seid ihr wunschlos? Habt ihr überhaupt noch ein Ego?

Torsten: Keine Wünsche mehr! Wenn dieser Moment so erfüllt ist, wozu sich davon ablenken. Das Ego ist nur ein Gedankenkonstrukt. Die Wahrheit ist: Keiner hat je ein Ego gehabt. Das bedeutet nicht, dass keine Ich-Gedanken und auch relativen Bedürfnisse in meinem Bewusstsein auftauchen können. Doch sie werden als substanzlose Erscheinungen erkannt. Sie haben nicht mehr die Kraft, die grundlegende Freiheit des Seins zu verhüllen.

Padma: Das Ego erscheint und verschwindet in dem, was bereits wunschlos erfüllt ist. Ebenso seine Wünsche. Insofern ist es kein Problem, wenn Ego und Wünsche erscheinen – und verschwinden. Sie brauchen weder ignoriert, verleugnet, unterdrückt zu werden, noch ist es erforderlich, sie zu verfolgen oder auszuagieren. Sie können durchschaut werden und sogar immer tiefer die Wahrheit dessen offenbaren, worin sie erscheinen.

Ist Satsang ein Placebo?

Torsten: Das ist gar kein schlechter Vergleich! Ein Placebo ist eine Tablette, die wirkt, in der aber Nichts enthalten ist. Satsang scheint zunächst als etwas Besonderes zu wirken. Irgendwann sehen wir durch diese Schein-Wirkung, dass das, was im Satsang vermittelt wird, schon immer in uns selbst war. Dann brauchen wir die Tablette nicht mehr.
Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Padma: Der Tod ist nur für die begrenzte Erscheinungsform des persönlichen Lebens eine Grenze, eben für diese Erscheinung des Egos, des Körpers, mit dem es sich identifiziert. Für die Essenz des Lebens, die du als Quelle deines wahren Seins erkennst, kann der Tod sogar noch tiefer, klarer, reiner enthüllen, was davon unberührt bleibt. Wir könnten sogar behaupten: Es gibt erst nach dem Tod ein wahres Leben. Oder genauer: Erst in der Bereitwilligkeit, auch dem Tod zu begegnen – den kleinen wie den großen, mentalen, emotionalen, körperlichen, den sozialen, sexuellen und spirituellen Toden – kannst du wirklich frei leben, statt gefangen und begrenzt zu sein in der Identifikation mit dem, was überleben muss.

In Eurer Arbeit geht es oft um das Thema Freiheit. Inwiefern können ein hungerndes Kind in Afrika oder ein politischer Gefangener in China jemals frei sein?

Torsten: Die Essenz jedes fühlenden Wesens ist stilles Gewahrsein selbst. Diese innerste Stille bleibt unberührt von jeder Verletzung des Körpers oder der Seele. Ob das jeweilige Individuum diese Wahrheit bewusst erfährt oder nicht: Er oder sie oder es ist diese Unberührtheit. Wenn sich ihm diese Freiheit offenbaren soll, wird dies auf irgendeine mysteriöse Art und Weise geschehen. Das bedeutet nicht, dass es auf einer Handlungsebene nicht vollkommen angemessen ist, dem Kind Essen zukommen zu lassen und auf die Freilassung des Gefangenen hinzuwirken.

Ist Satsang eine Modewelle, die sich vom Rest der Esoterik-Szene absetzen will? Ist die so genannte Satsang-Szene nicht nur eine neue soziale Ersatz-Identität mit spirituellem Sahnehäubchen?

Torsten: Ich glaube mittlerweile, dass in der Satsang-Szene eine große Bandbreite spiritueller Tiefe vorhanden ist. Es gibt echte Vermittlung tiefgreifender Wahrheit, verwässerte Halblehren und arrogante, teilweise missbräuchliche Lehrer. Natürlich kann auch die Satsang-Szene in vielerlei Hinsicht als eine Ersatz-Identität missbraucht werden, wie jede andere Szene auch. Das geht dann an der eigentlichen Botschaft von Satsang weit vorbei. Aber es hängt von jedem Suchenden selbst ab, wie er Satsang nutzt.

Padma: Alles kann missverstanden werden. Du kannst sogar im Traum herumlaufen mit der Überzeugung, wach zu sein, und diese Einsicht in die Traumwelt integrieren. Du kannst deine Identifikation mit einem spirituellen Jemand aufbessern und verstärken. Letztendlich, wenn du dich wirklich auf die Freiheit einlassen willst, um deren Erkenntnis es im Satsang geht, wirst du dich damit nicht zufrieden geben können. Wenn du in ehrlicher und klarer Absicht dabei bleibst, wird Satsang diese Identität auch wieder erschüttern.

Wenn alles Gottes Wille ist, wenn alles was ist, Gott ist, und wenn alles gut so ist, wie es ist – ist es dann nicht völlig egal, ob man überhaupt noch etwas tut? Dann können wir uns doch auch alle gehen lassen, die Natur verpesten, uns besaufen, klauen, prügeln, Kriege führen usw., weil alles, was geschieht, ja sowieso Gottes Wille ist, den wir nicht ändern können. Ist das nicht unethischer apathischer Fatalismus?

Padma: Die allerwenigsten Menschen leben zur Zeit auf dieser Welt tatsächlich in bewusster Hingabe an Gottes Willen. Viel weiter verbreitet ist genau jene Skepsis, die du hier ansprichst: dass das doch nicht wirklich vertrauenswürdig sein kann, und also ich es lieber in die Hand nehmen sollte, dass es nach meinem Willen und meiner Vorstellung geht. Wohin eben das führt, das sehen wir. Auch hier wieder würde ich vorschlagen: Probier es aus! Was ist deine Erfahrung, wenn du dich Gottes Willen hingibst. In den Momenten, in denen du zutiefst erkennst, dass alles gut ist, so wie es ist, hast du da das Bedürfnis, die Natur zu verpesten, dich zu besaufen, zu klauen, zu prügeln oder einen Krieg zu führen?
Es gibt da eine andere Qualität von Motivation. Der Psychologe Abraham Maslow, einer der Begründer der humanistischen und der transpersonalen Psychologie, hat so etwas wie »Seins-Motivation« beschrieben, im Gegensatz zu »Defizit-Motivation«, die von Bedürfnissen und Mangel angetrieben wird. Warum solltest du nicht aus freien Stücken, mit Freude und Begeisterung mitspielen in Gottes Spiel, wenn du es als solches und dich als Teil dessen, als eine Manifestation von Liebe erkennst?!

Bekannte Satsang-Lehrer wie z.B. Gangaji oder Eckhart Tolle scheinen ganz gut Geld mit der »Wahrheit« zu verdienen. Kann Erleuchtungs-Merchandising glaubwürdig bleiben?

Torsten: Auf der einen Seite ist »spirituelle Freiheit« kein verkäufliches Produkt, sondern die Entdeckung der Freiheit hängt vom aufrichtigen und unschuldigen Interesse des Suchenden ab. Auf der anderen Seite ist in unserer Gesellschaft die Verbreitung von Inhalten über Bücher und andere Medien eine natürliche Kommunikationsform. Warum sollten wir befreiende spirituelle Botschaften davon ausnehmen? Und schließlich müssen auch die spirituellen Lehrer für ihr Leben Geld verdienen. Im asiatischen Kulturraum gibt es andere gesellschaftliche Strukturen. Spirituelle Lehrer werden dort in den traditionellen Kulturen mit großer Selbstverständlichkeit durch Spenden unterstützt. Dieses Verständnis fehlt im Westen, deshalb sind Eintrittsgelder hier in manchen Fällen durchaus angemessen. Insgesamt scheint es mir eine Gratwanderung, wann Spiritualität zum Geschäft wird und damit ihren eigentlichen Sinn verfehlt. Das kann man nur im Einzelfall beurteilen.

Padma: Auch Geld oder Merchandising, Erfolg oder Ruhm – oder ihr Gegenteil – können keine Kriterien sein. Letzten Endes kannst du immer wieder nur in deiner eigenen Erfahrung überprüfen, was stimmt und was dich auf die Wahrheit deiner selbst hinweist und was nicht. Alles andere ist nebensächlich.

Als bekannt wurde, dass der Satsang-Lehrer Eli angeblich jahrelang ein heimliches Verhältnis zu einer seiner Schülerinnen gehabt haben soll, wie habt ihr euch da gefühlt?

Torsten: Das ist ein sehr vielschichtiges Thema, über das man ein ganzes Interview machen könnte und sollte. In aller Kürze: Nach meinem Empfinden hat Eli entgegen dem gehandelt, was er öffentlich vertreten hat und damit das Vertrauen vieler seiner Anhänger enttäuscht. Auf der anderen Seite können gerade diese Enttäuschung und der Bruch mit den Vorstellungen eines »Lehrer-Ideals« neue, tiefgreifend befreiende Einsichten offenbaren.

Padma: Für mich persönlich war es in dem Moment und in der Zeit, in der ich von den Betroffenen und ihrem Leid erfuhr, herzzerbrechend und erschütternd. Wiederum sind dieses Herz-Aufbrechen und diese Erschütterung sehr nützlich gewesen und haben zu weiterer, tieferer Klärung beigetragen. Nach wie vor würde ich nicht leichtfertig sagen wollen, dass »es alles nichts macht«, dass ja »alles gut ist«. Aber es ist alles gut und macht alles nichts an der wesentlichen Erkenntnis von Freiheit und Frieden, für deren Vermittlung ich Eli für immer dankbar bin!
Gerade jetzt noch deutlicher durch die Mitteilung, dass Eli schwer an Blutkrebs erkrankt ist, wird für mich klar, wie unbedeutend selbst dies ist im Verhältnis zu der Bedeutung und Auswirkung der Erscheinung seines Lebens in meinem – und im Leben so vieler Menschen. Damit will ich keineswegs sagen, dass ich dies und das Leiden, das die Betroffenen erfahren haben, für unbedeutend halte! Wenn irgend etwas, dann war dies wahrscheinlich das, was ich am allerwenigsten bei meinem Lehrer finden wollte – zumal ich von ihm selber gelernt hatte, dass dies nicht geht! Dies war für mich möglicherweise am allerschwersten zu akzeptieren. Nun, hier ist es. Und ich kann nicht sagen, dass deshalb die Wahrheit von Freiheit und Frieden, in deren immer tieferer und klarerer Erkenntnis er mich zutiefst und äußerst effektiv unterstützt hat, beeinträchtigt wären. Wie immer: Eher im Gegenteil, ihre Unerschütterlichkeit wird durch alle Erschütterung nur noch deutlicher bewiesen.

Ist es nicht letztlich alles nur Projektion? Kann man nicht auch einfach den Latein-Lehrer von Dietmar da vorne hinsetzen?

Torsten: Ja, alles ist Projektion. Aber es gibt Projektionen, die auf ihre eigene Auflösung hinwirken. Ein guter spiritueller Lehrer ist eine solche. Würde Dietmars Lateinlehrer anfangen zu sprechen, ohne dass er die innere Erkenntnis seines wahren Wesens erfahren hat, würde man schnell merken, dass er über Latein und nicht über die absolute Wahrheit spricht.

Padma: In aller Regel fällt die Auflösung der Projektionen umso leichter, je ruhiger und leerer die Leinwand ist, auf die projiziert wird.

Braucht man einen Guru um Erleuchtung zu finden?

Torsten: Guru bedeutet »Vertreiber der Dunkelheit«. Der wahre Vertreiber der Dunkelheit ist das Licht des Gewahrseins, das unser innerstes Wesen ausmacht. Erkennen wir dies nicht selbst, wird eine Form im Außen uns die entscheidenden Hinweise dazu geben. Diese äußere Form kann ein Mensch, ein Buch, ein Tier oder etwas ganz anderes sein. Der Guru ist notwendig, und wir sind es selbst.

Gibt es noch etwas, was ihr den Lesern mit auf den Weg geben möchtet?

Torsten: Gib die Idee von einem Weg auf und schau, was schon hier und jetzt gegenwärtig ist!

Padma: Und dann traue deiner eigenen direkten Erfahrung. Nicht dem Denken, nicht mal dem Fühlen, sondern noch unmittelbarer gibt es da ein Wissen im Herz eines jeden, das vertrauenswürdig ist. Das ist, wo du weißt, was wahr ist, was dich lockt, was du liebst, was dich fördert in dem, was du wirklich willst.


Stefan Stutz ist als Zeichner z.B. für Zeitschriften, Verlage, Filmproduktionen, Unternehmen, Organisationen und Privatmenschen im Einsatz. Er hat auch das Buch »Die Zauberkraft der Sprache« von Wolf Schneider illustriert. Mehr von Stefan unter www.stefanstutz.de